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Schule des Lebens

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Wäre mein Leben besser, wenn es die Schule nicht gäbe?

Manchmal finde ich die zahlreichen Termine mit Lehrerinnen, SIBUZ, Schulsozialarbeit, Schulpsychologinnen, Schulleitung und der Psychotherapeutin zu Schulleistungen, die nicht im abgesteckten Rahmen dessen sind, was ein Mensch in einem bestimmten Alter zu leisten fähig sein sollte, ganz interessant und aufschlussreich.

Ich sitze dann da, mit übergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen, höre und sehe, was sich vor mir abspielt, wie in einem Film, der an mir vorbeizieht und vage etwas mit mir zu tun hat. Ich nicke und mache zustimmende Geräusche, denke an „Systemsprenger“ und „Leonardo da Vinci“ und „Flowzustände“ und „Superpower“ und bin mitunter so stark dissoziiert, dass ich die Situation von oben beobachte.

Alle bemühen sich um Lösungen. Alle sprechen auf der Basis jahrelanger Erfahrung, haben Ideen, verwerfen Ideen, sind zugewandt, möchten helfen, nicht defizitorientiert sein, sondern konstruktiv das Problem angehen.

Das Problem der Verweigerung.

Zwischendurch spreche ich ganz viel und schnell, zucke mit den Füßen, wedele mit den Händen, räuspere mich, bemühe mich ständig und nicht immer erfolgreich, die wohlwollenden Menschen nicht zu unterbrechen, die alle nur verstehen möchten, warum sich ein junger Mensch der Schule so verweigert und „nicht ins Lernen kommt“.

Hamburger Schreibprobe, Evaluierung in allen Fächern, Intelligenztestung (zweimal, durch zwei verschiedene Personen), Beurteilungen statt Benotungen. Das Problem lässt sich benennen, aber nicht lösen.

Kleingruppenunterricht, integrale Lerntherapie, Verlagerung der Förderschwerpunkte, Schulhelfer, Inklusion, Extraangebote. Die Schule bleibt am Ball.

Ich nicke, mache mir geschäftig Notizen, versuche, die Tränen wegzudrücken, was selten gelingt. Aber die wohlwollenden Menschen kennen das schon. Wir sind die Familie, die kooperativ ist. Die Familie, „die nicht nur will, sondern auch kann“ (O-Ton Schulleiterin). Die Eltern ohne Lernbehinderung, ohne Dyskalkulie, ohne Leserechtschreibschwäche, ohne oppositionelles Verhalten. Die Eltern, die immer wieder die Medikamente absetzen, aber aus „guten Gründen“, nicht weil wir es verpeilen oder es uns egal ist, sondern ganz bewusst, nach vielen Diskussionen und Recherche. Die Eltern „funktionieren“, aber das Problem bleibt bestehen.

Wir lernen zu Hause, machen Pläne für regelmäßige, ritualisierte Aufgaben, halten es wochenlang durch, dann ertragen wir den Widerstand nicht mehr, das Schreien, die zerrissenen Hefte, die zerbrochenen Stifte, die Beschimpfungen und vor allem die Konfrontation mit einem Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, das innerhalb von 24 Stunden alles zu vergessen scheint, was am Tag zuvor mühevoll gelernt wurde. Wann immer wir denken, jetzt wurde es verstanden, werden wir am nächsten Tag eines Besseren belehrt.

Und dann, wenn uns die Verzweiflung überrollt, das Loch der Hoffnungslosigkeit und Zukunftsangst riesengroß wird (was glücklicherweise nie bei beiden Elternteilen gleichzeitig passiert), schaffen wir es, das Kind in einem anderen Licht zu sehen.

Ohne Schule, ohne Beurteilung, ohne Leistungs- und Sozialstress.

Und wir bemerken, wie großartig unser Kind ist jenseits dieser Systeme. Anstrengend und nervtötend, ja. Intensiv und fordernd und hochenergetisch. Nie müde oder erschöpft, nie deprimiert, kaum ängstlich. Immer interessiert an anderen Menschen. Und Hunden. Und Pinguinen. Und natürlich an Games. Vor allem an Games (seufz). Und Lego. Und wie gut sein Humor ist. Dass er Ironie kann. Dass er ständig redet und viel lacht.

Und dass er immer mehr versteht, sich selbst besser versteht, trotz des permanent hochgedrehten Nervensystems, Sympathikus auf der Überholspur. Dass er immer wieder neue Strategien findet, mit denen er sich herunterbringen kann, Taktiken, Tricks und Ticks, die wir oft nicht nachvollziehen können, die wir hinterfragen, bis wir merken, dass das nicht unsere Aufgabe ist: Das sind seine Strategien und er wird sie ausprobieren und ausbauen, bis sie passen.

Denn in einem leistungsorientierten System, das so stark auf Beurteilung und Quantifizierbarkeit wie das unsere basiert, wird er diese Strategien brauchen. Das ist seine Schule. Und auch wenn ich hoffe, dass er die Basics (Lesen, Schreiben, Rechnen) irgendwann mal halbwegs beherrschen wird, weil ich eine alte Spießerin bin, die das wichtig findet, wird er seine eigenen Skills entwickeln. Vielleicht muss er dafür das System sprengen oder ein neues für sich erfinden.

Und ich ahne: Er wird dabei nicht allein sein.

(Künstler: das Kind, Thema: „Wunschort Schule“, Juni 2025)

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