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Sex and the Village

„Das klingt wie eine Kuh, die leidet.“

„Könnte auch ein frisiertes Motorrad sein.“

„Nein, das ist ein Tier.“

„Ein riesiges Tier! Vielleicht ein Wolf!“

„Oder ein sehr großer Hund?“

Wir schauen uns an. Das Geräusch ertönt wieder. Und noch einmal. Mal scheint es von der Richtung des Campingplatzes zu kommen, dann von hinter uns.

„Das klingt voll gruselig“, sagt P.

Es ist spät abends und wir sitzen zu dritt vor dem Bungalow, eine Kerze flackert auf dem Tisch zwischen uns und eigentlich haben wir bis gerade eben ununterbrochen geredet. Bis ich das Geräusch gehört habe. Ein tiefes Brüllen, das ab und an von einem Keuchen unterbrochen wird.

„Könnten das die Dinos aus dem Film sein?“

Wir werfen einen Blick zum Haus nebenan, in dem hinter großen Fenstern die Kinder sitzen und Jurassic irgendwas Teil 3 anschauen.

„Mein Rechner ist total leise. Das kann es nicht sein.“

Wieder ertönt das tiefe Brüllen. Wir lachen nervös.

„Vielleicht ein Wildschwein? Oder doch ein Wolf?“

Ich stelle mir vor, wie unsere Kinder hinter den großen Fenstern den Dinosauriern zuschauen, während realere Gefahren (Wölfe! Wildschweine! Riesenhunde!) sich langsam übers Gelände bewegen. Ich stelle mir vor, wie wir in der Dunkelheit von einem wilden Tier angefallen werden, während unsere Kinder über die abgerissenen Gliedmaßen von Dino-Touristen und Wissenschaftlern lachen. Sie würden nicht einmal bemerken, wenn ihre Mütter und Nachbarinnen vom Gelände verschleppt werden würden.

„Egal, was es ist, es leidet.“

„Sollen wir schauen, woher dieses Geräusch kommt?“

„Auf gar keinen Fall!“ C. schüttelt den Kopf.

Wir versuchen, das Thema zu wechseln, schauen in unsere Teetassen. Das tiefe Brüllen reißt uns wieder aus dem Gespräch.

„Was ist, wenn das Tier angefahren wurde und jetzt am Straßenrand verendet?“

Erneut ein Brüllen. Ich stelle mir einen riesigen dunklen Leib neben der Dorfstraße vor. Rotblitzende Augen. Der Hund von Baskerville, röchelnd in einer Blutlache.

„Da stirbt ein Tier! Wir müssen was tun!“ P.s Augen blitzen auf.

Wir schauen uns an. Ohne weiter zu diskutieren, stehen wir auf und bewegen uns vorsichtig aus der sicheren Zone der Terrasse in Richtung des Brüllens. Es ist dunkel. Das Gelände ist uneben. Äste, Kletterpflanzen, Himbeer- und Rosenzweige reißen an meiner Jacke. Ich kenne den Weg, weiß, wo sich Hochbeete, größere Steine und Löcher befinden. Ab und an stolpere ich über einen Maulwurfshügel.

Langsam gehen wir durch die Gärten unserer Nachbarn, immer dem tiefen Grollen und Keuchen nach. Ich bin die einzige mit Telefon und leuchte uns den Weg. Drei Frauen auf einer Mission. Hinter jedem Busch könnte sie sich verstecken, die Quelle des gruseligen Geräusches. Am Zaun bleiben wir stehen.

„Es kommt vom Campingplatz, oder?“

Eine geht vor, die anderen zögerlich hinterher. Wenn eine von uns angefallen wird, müssen die anderen flüchten und Hilfe holen.

„Lass uns mal bei der Rezeption vorbei gehen. Die hören das doch auch.“

Zentimeter für Zentimeter schleichen wir am Campingplatz vorbei. Die Rezeption ist verlassen und dunkel. Kein leidender Hund, der neben einem Wohnmobil durchdreht, kein Mensch auf der Straße oder zwischen den Bäumen zu sehen.

„Sollen wir bei K. klingeln?“

Wir stehen vor K.s Haus und P. schaut durchs Fenster.

„Er schläft im Sessel vor dem Fernseher“, flüstert sie. „Sollen wir ihn aufwecken?“

Das Brüllen ertönt wieder, lauter jetzt. Wir wecken K. nicht auf und gehen den Weg weiter in Richtung der Straße. Ich stelle mir vor, wie wir hier in einem Wurmloch/Portal/Lieferwagen verschwinden und niemand erfährt, was uns zugestoßen ist.

An der beleuchteten Straße sehen wir kein Tier. Aber wir hören das Brüllen. Es kommt aus dem Wald.

„Ich gehe da nicht rein“, sage ich sofort.

„Natürlich nicht“, sagt C.

„Im Wald sehen wir sowieso nichts“, sagt P.

„Irgendwie kommt mir das Geräusch bekannt vor“, sage ich.

Ich denke nach. Zwischen Schwaden von Gehirnnebel taucht eine Erinnerung auf. Ein Familienwochenende im Elsass. Der Gefährte und ich hörten merkwürdige Geräusche aus dem Wald.

„Scheiße!“ Ich schlage mir auf die Stirn. „Das sind Hirsche.“

Wir fangen an zu lachen. „Na klar, röhrende Hirsche!“

Ich google Hirsche in der Brunftzeit. Das Netz ist schlecht, das Video lädt nicht. Auf einmal hören wir einen lauten Knall.

„War das ein Schuss?“

Wir starren uns entsetzt an. Eine Minute später röhrt es wieder.

Kichernd rennen wir zurück aufs Gelände. Auf der Suche nach der „unbarmherzigen Fratze der Natur“ (sinngemäß Werner Herzog) bin ich mal wieder bei meiner eigenen Ignoranz gelandet. Wir werden in dieser Nacht noch lange über uns selber lachen.

Waldhain statt Berghain: Hier toben die Platzhirsche.

2 Gedanken zu „Sex and the Village“

  1. Coole Geschichte!! Habt ihr echt röhrende Hirsche in Grambin? Ich hab das mit Fränzi mal auf dem Weg auf eine Alpenvereinshütte gehört. Gruselig, imposant!
    Lieben Gruss

    Steffx

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